Deutsche Menschen – Eine Folge von Briefen [Umschlag-Titel: “Deutsche Menschen: Von Ehre ohne Ruhm – Von Größe ohne Glanz – Von Würde ohne Sold”]. Auswahl und Einleitungen von Detlef Holz.
2. Auflage. Luzern, Vita Nova Verlag, 1937. Octavo. 116 Seiten. Original Softcover / Originale Titelbroschur. Die Bindung, besonders die Broschur, in aussergewöhnlich guter und frischer Erhaltung. Der Buchblock, wie so oft, mit einigen starken Stockflecken zu Beginn und am Schnitt. Grossteil des Texts ist ganz sauber.
Die hier vorliegende, bedeutende Exilpublikation, ist die letzte von Benjamins Buchveröffentlichungen, die noch zu seinen Lebzeiten erschien. Der Text wurde oft kommentiert und aus Korrespondenz sind Benjamins Motive der Publikation und auch der Einfluss des Verlegers auf Gestaltung und Titel ausreichend erforscht.
Doch kann man, darf man sich damit so leicht abfinden, oder ist die Klugheit der von Benjamin gewählten Kompilation nicht Anlass an weit mehr als nur eine Codierung von Benjamins Gefühlswelt zu denken ?
Für jeden Leser dieses kleinen Kanons humanistischer Reflektion, publiziert aus dem Schatten von Benjamins Exil als letzter Appell an die verlorene Heimat, dürfte sich eine andere Emotion ergeben. Im Rückblick muss klar sein: Benjamin rechnet hier ab. Typographie, wülstiger Titel und Untertitel sind hier nicht nur Ausdruck eines von Benjamin durchlebten, brutalen Nationalismus’, sondern Verhöhnung eines pseudoelitären Deutschtums.
Jeder Text wie ein Spiegel der einer Nation von Lemmingen vorgehalten wird die Ihre Literaten lieben und sich derer rühmen, aber nichts von dem fühlen was die Texte verheissen. Benjamin, Meister des Verrisses und subtiler Analytik, vernichtet hier 200 Jahre Literaturgeschichte einer nunmehr gefühllosen Nation. Der Schlüsselbrief, die Decodierung der Publikation, ist wohl der gleich zu Anfang gestellte Brief Lichtenbergs, dessen schockierende Wirkung beim ersten Lesen wie ein Weckruf an alle ist die verstehen können, dass hier etwas verloren ging was nicht verloren gehen durfte. Der in erstaunender Angst erstarrte Engel meldet sich hier zum letzten Mal und teilt uns durch Lichtenbergs Text mit, welches Leid Ihm widerfuhr und gerade weil unerwartet, wie unendlich ergreifend der Verlust und die daraus folgende Paralyse eine Rückkehr zu Ehre, Grösse und Würde nie mehr Wirklichkeit werden kann. [Text: Holger Smyth, Januar 2022]
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